Erinnerung an drei Neckarsulmer
Ende August 2024 gibt es gleich drei Tage, an denen wir an Neckarsulmer Künstler im weiteren Sinne erinnern können: Kunstmaler Johannes Gießer ist am 20. August vor 250 Jahren in Neckarsulm verstorben, Dichter und Lehrer Franz Größler am 25. August vor 175 Jahren und Architekt Rudolf Baer am 28. August vor 125 Jahren geboren.
Ein „talent- und geistvoller Maler“
Über Johannes Gieser oder Gisser ist dem Stadtarchiv Neckarsulm bisher nur wenig bekannt. Er wurde am 07.06.1709 in Schönbach in Bayern als sechstes von elf Kindern des Andreas Gisser und seiner Frau Anna geboren. Wo er seine Schul- und Ausbildung erhielt und wann er nach Neckarsulm kam, ist nicht sicher, greifbar wird er spätestens bei seiner Hochzeit am 05.09.1735 in Neckarsulm. Gieser ehelichte die Tochter des Neckarsulmer Malers Johann Georg Heilmann, Maria (Magdalena) in der St. Dionysus-Kirche – dass sein Beruf die persönliche Bekanntschaft der beiden förderte, darf angenommen werden. Wohl am 27. Juni 1736 wurde der Sohn Johann Georg Wilhelm geboren, der ebenfalls Maler wurde. Das Ehepaar muss auch mindestens ein weiteres Kind, eine Tochter, gehabt haben. Nach dem Tod seiner Frau heiratete Johannes Gieser am 27. November 1749 in zweiter Ehe Anna Maria Schulmeister aus Mergentheim, Witwe des Salomon Schulmeister. Gestorben ist er am 20.08.1774 ebenfalls in Neckarsulm. Im Totenbuch der Kirchengemeinde St. Dionysius wurde er als „pictor ingeniosus“, „talent- und geistvoller Maler“ bezeichnet.
Gieser und sein Sohn wirkten beide hier in der Region: Johannes Gieser arbeitete 1736 am großen Alter in der Dominikanerkirche zu Wimpfen, sein Wirken ist in der Bildsignatur festgehalten: „Iohanes Gisser inve: 1736“. Für Arbeiten an den Altarblättern der Seitenaltäre wurde einem Maler aus Neckarsulm 1749/50 40 Gulden bezahlt, womöglich handelte es sich auch hier um Johannes Gieser, da sein Schwiegervater Heilmann bereits kurz vor der Eheschließung mit Maria verstorben war. Auch weitere Arbeiten in der Kirche soll Gieser vorgenommen haben.
Er oder sein Sohn malten zudem in Untergriesheim und Hagenbach Bilder des Heiligen Nepomuk, eine „Gieser aus Neckarsulm“ malte in einer Offenauer Kirche, vielleicht auch in Gundelsheim, ein Bild des Heiligen Wendelin. Johann Georg Wilhelm taucht 1775 auch in Neudenau als Maler auf; zur Zeit seiner Hochzeit wird er bereits als „pictor peritus“, erfahrener Maler, bezeichnet. Wohl durch Vermittlung des Deutschen Ordens kam Johann Georg Wilhelm nach Mergentheim, in die vormalige Heimat seiner Stiefmutter Anna Maria. Im Stadtarchiv Bad Mergentheim haben sich einige Unterlagen und Spuren zu Johann Georg Wilhelm und seinen Nachfahren erhalten. Der gebürtige Neckarsulmer Johann Georg Wilhelm arbeitete in Mergentheim und Umgebung als Maler und Vergolder und erwarb 1774 das Mergentheimer Bürgerrecht. Er heiratete 1775 Anna Franziska Dorothea Jakobi und kaufte seinem Schwiegervater – einem Futterschreiber und Kanzlisten – 1883 dessen Haus in der Ochsengasse ab. Von den sieben Kindern des Ehepaars – fünf Sohne und zwei Töchter – wurden zwei Söhne ebenfalls Maler, die Familie blieb dem Beruf also weiterhin verbunden. Johann Georg Wilhelm starb am 23. Februar 1812 in Mergentheim. Während er und sein Vater Johannes Gieser vielfach an kirchlichen Motiven arbeiteten, nahmen die Söhne Johann Georg Wihelms – dem Trend der Malerei dieser Zeit folgend – die Landschaftsmalerei stärker in den Blick; von ältesten Sohn Georg Joseph (geb. 01.12.1775 in Mergentheim) haben sich detaillierte, naturgetreue Darstellungen von Mergentheim und seiner Umgebung erhalten. Der ledig gebliebene Enkel des Neckarsulmer Malers lebte wohl sein ganzes Leben in seinem Elternhaus und starb am 17. April 1828 dort im Alter von nur 53 Jahren.
„Die Menschheit schreitet fort auf steilen Wegen…“
Vor 175 Jahren, am 25. August 1849, kam Franz Größler als Sohn des Verwaltungsaktuars Wilhelm Größler (22.6.1825-9.11.1892) und Rosina Heinrike Fischer (6.3.1825-27.7.1903) in Neckarsulm zur Welt. Er war der älteste Sohn einer zwölfköpfigen Familie. Sein jüngerer Bruder Wilhelm August Größler (1851-1896) war Lehrer an der Neckarsulmer Latein- und Realschule.
Nach seiner Kindheit und Jugend in Neckarsulm studierte er in Stuttgart, Paris und London Realwissenschaft und wurde schließlich Professor an der Oberrealschule in Stuttgart. In seiner Freizeit widmete er sich intensiv der Literatur und der Musik. Bekannt wurde er vor allem durch seine Dichtungen, die seine liberale politische Einstellung widerspiegeln.
Bereits 1873 erschien seine erste Gedichtsammlung, ein Jahr später entstand die Tragödie „Arnold von Brescia“ (veröffentlicht 1879) und schließlich 1882 „Maximilian“, eine dramatische Dichtung in zwei Teilen, die das Schicksal des österreichischen Erzherzogs Maximilian zum Thema hat. Dieser nahm 1863 auf Drängen Napoleons III. die mexikanische Kaiserkrone an und vertrieb mit Hilfe französischer Truppen den mexikanischen Präsidenten Juárez García. Als die USA nach dem Ende des Sezessionskrieges auf Abzug der französischen Truppen bestanden, blieb Maximilian im Land, musste sich 1867 Juárez García ergeben und wurde von einem Kriegsgericht zum Tode verurteilt.
1901 veröffentlichte Größler schließlich seinen zweiten Gedichtband mit Werken epischen, patriotischen, lyrischen und didaktischen Charakters. Hier eine kleine Kostprobe aus dem Gedicht „Prolog“, das die Schauspielerin Eleonore Wahlmann an der Wende zum 20. Jahrhundert bei einem Wohltätigkeitskonzert in Stuttgart vortrug – es ist ganz vom Optimismus auf das neue Jahrhundert geprägt:
Hört ihr, wie die Pessimisten trauernd klagen?Ist wahr es, was oft jetz’ge Weisen sagen:„Vom einst’gen Hoheitsbild die Menschheit sinkt?“Nein, ruf‘ ich ihnen hoffnungsreich entgegen,Die Menschheit schreitet fort auf steilen Wegen,wo ihr der Zukunft goldne Krone winkt. Groß steht der Mensch an dies Jahrhunderts EndeNoch sah ein früh’res nie an seiner WendeSo mächtig die Natur ihm unterthanDes Weltalls Kräfte rafft sein Geist zusammen,und bald wird’s an den eis’gen Polen flammen:Der großen Denker Hoffen ist kein Wahn. Und auch des Herzens Saiten sind gehobenTrotz alles Sturmes Drang und Braus und TobenSah solch ein früheres Jahrhundert nie.Der Armut Thränen trocknen, Wunden schließen,Und Balsam in bedrängte Herzen gießen,ist unsrer Tage schönste Harmonie. Franz Größler starb im Alter von 79 Jahren am 26. Januar 1929 in Stuttgart. Malen für die Architektur
Der letzte Neckarsulmer, an den wir in diesem Artikel erinnern wollen, ist Architekt Rudolf Baer, der am 28. August 1899 in Neckarsulm zur Welt kam. Er war der älteste Sohn von Julius Baer und seiner Ehefrau Frieda, geb. Sträßle – sein Vater arbeitete als Werkmeister bei den NSU-Werken. Zu Baers weitverzweigter Verwandtschaft gehören auch der erste Neckarsulmer Ehrenbürger, der Lehrer Franz Sträßle und dessen Schwager, der an der Revolution von 1848 beteiligte Journalist Karl Daenzer.
Rudolf Baer wuchs im elterlichen Haus in der Lerchenstraße 20 auf. Nach dem Besuch der Schule begann er die Ausbildung zum Architekten in Ellwangen und besuchte anschließend die Baugewerkschule in Stuttgart. Er arbeitete dann zwei Jahre in einem Architekturbüro, bevor er schließlich 1927 ein eigenes Büro in Heilbronn gründete, das bis 1973 bestand. So wurde unter seiner Federführung gemeinsam mit dem Architekt Dr. Rudolf Gabel der Neubau der Heilbronner Gewerbeschule gebaut; 1963 entstand nach seinen Plänen die Kindertagesstätte in der Heilbronner Charlottenstraße.
Auch in seiner Heimatstadt Neckarsulm wurden neben seinem eigenen Wohnhaus – er selbst lebte mit seiner Familie in der Salinenstraße 61 - zahlreiche Privathäuser und einige Geschäftshäuser nach seinen Plänen erbaut.
Daneben war Rudolf Baer maßgeblich am Bau der Amorbachsiedlung (1953—1955) beteiligt: zusammen mit dem Architekten August Bohnert plante er die zweigeschossigen Häuser südlich der Lautenbacher Straße, die sogenannten Erwerbshäuser. Von den Firmen Spohn, Anderssen und Schrade erhielt Rudolf Baer zudem Aufträge für Industriebauten.
Darüber hinaus entstanden außerhalb des Stadt- und Landkreises Heilbronn weitere Gebäude nach Baers Plänen: so lag beispielsweise die Planung der Betriebsgebäude der Firmenfilialen Auto Union GmbH Düsseldorf in Hannover und München in seinen Händen.
Doch Rudolf Baer machte sich nicht nur als Architekt einen Namen. Schon früh entdeckte er die Liebe zur Malerei und so entstanden bereits während seiner Studienzeit zahlreiche Porträts u.a. von Persönlichkeiten aus Ellwangen und Neckarsulm sowie Landschaftsbilder in Öl. Da vor allem die Porträts Auftragsarbeiten waren, konnte Baer auf diese Weise seine Ausbildung zum Architekten finanzieren. Auch Ansichten aus Neckarsulm sind unter den heute überwiegend in Privatbesitz befindlichen Gemälden: Der Blick von seinem Haus in Richtung Obereisesheim vor, während und nach dem Bau der Autobahn gehören dazu ebenso wie historischen Ansichten der Stadt vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg am 1. März 1945 und ein Gemälde, das die zerstörte Stadt zeigt.
Rudolf Baer starb am 3. Juli 1986. Er fand seine letzte Ruhestätte im Familiengrab Sträßle (C 329) am Hauptweg auf dem Alten Friedhof Steinachstrasse in Neckarsulm. Vera Kreutzmann/Barbara Löslein